betty on the blog
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Traum No 23

 

Jemand zählte rückwärts und bei Null erwachte ich nicht. Mein linker Fuß steckte im Gully fest. Den rechten hielt ich in der Hand. Ich versuchte mit dem Löffel etwas von der Speise zu löffeln, aber ich konnte meinen Mund nicht öffnen, außerdem war das Zeug zäh und so geleeartig, daß es nicht zu teilen war. Als ich um die nächste Ecke bog stand dort ein riesiger brandroter Fisch aufrecht auf seinen Hinterflossen und ich wußte, daß er das absolute Böse war. Zitternd vor Grauen wachte ich auf.

 

Ich fand mich in einem riesigen runden, vergoldet funkelnden Raum mit hohen Fenstern, zwischen ihnen verschnörkelte Säulen, umgeben von Arkaden, von denen aus man einen wunderbaren Ausblick über das ganze Land hatte: auf der einen Seite himmelhohe, schneebedeckte Gipfel, auf der anderen Seite ein Ozean von tieftürkisem Blau, auf der dritten Seite dazwischen sanfte, zu ihm hin abfallende Hügel, auf der vierten, den Hügeln gegenüber, das pure graue Nichts.

 

Ich wußte, ich mußte die Tür finden und sah mich suchend um, aber es gab keine. Wenn ich den Turm nicht verlassen könnte, würde ich meinen Zug verpassen. Panik stieg in mir auf. Mein Zug! Und ich wußte nicht einmal auf welchen Bahnsteig ich mußte! Plötzlich stand jemand neben mir. Hinter ihm klappte eine Tür zu. „Du mußt mir mal eben helfen, mein Schlüssel brennt an.“ Ich folgte ihm, um ihm aus der Patsche zu helfen und wir liefen einmal an der Wand entlang um den ganzen Raum. „Wo ist denn nun Deine Tapete?“ fragte ich ihn „Gleich. Wir müssen erst noch -“ weitere Leute kamen aus hinter ihnen zuklappenden Türen. Sie sahen alle gleich aus, da sie keine Gesichter hatten. Einer ergriff mich am Arm. „Komm mit, ich brauche Dich“ - „Warte“ sagte ein anderer, „erst mußt Du mir helfen, meine Socke zu finden“ - „Es ist wichtig,“ sagte ein anderer, „nur Du kannst den Krieg verhindern.“ Sie zerrten an mir, zogen mich in verschiedene Richtungen, drückten mich zuletzt an die Wand. Ich machte mich frei und rannte zur Wendeltreppe. Immer tiefer hinab, durch den grob gemauerten Turm. Es wurde immer dunkler. 'Verdammt' dachte ich, 'wo ist denn nun dieser Bahnsteig.' Die Rolltreppe führte sehr gerade sehr hinab durch die riesige gekachelte U-Bahnstation. Neonröhren sorgten für blendende Helligkeit. Ich konnte meinen Zug auf dem Bahnsteig stehen sehen. Es war nicht der Bahnsteig, zu dem die Rolltreppe führte. Ich würde meinen Zug nicht erreichen. Ich konnte die Rolltreppe nicht verlassen: Rechts und links umgaben sie gekachelte Wände, unter ihr war nur bodenloser Abgrund. Keine Chance. Der Zug würde ohne mich abfahren. Und wo war eigentlich mein Gepäck!?!? Wieso habe ich mein Gepäck nicht?! Ich drehe mich um und versuche die Rolltreppe wieder hochzulaufen, was sie verhindert, indem sie sich zusammenrollt. Rolltreppe. Haha. Wie gescheit! Ich werfe noch einen Blick auf den Bahnsteig, wo kein Zug mehr steht. Ein Bahnangestellter beobachtet, wie sich in einem Aquarium zwei Krokodile aalen. Ich gehe zu ihm und frage ihn, ob er weiß, wo mein Gepäck ist. Ohne den Blick von den Aalen abzuwenden, deutet er auf das weitest entfernte andere Ende des Bahnhofs, wo auf dem letzten Bahnsteig Nr. 753 ein großer Rollwagen beladen mit Koffern, Taschen, Schlafsäcken, Hutschachteln, zwei Vogelkäfigen und Musikinstrumentenkoffern steht. Ich bin begeistert, bedanke mich überschwenglich und versuche, den Rollwagen wegzuziehen. Zum Glück stehen die Türen des Gepäckwagens weit offen. Allerdings bewegt sich der Rollwagen nicht einen Millimeter von der Stelle. Ich werde ihn wohl entladen müssen. Also fange ich an, die Sachen einzeln herunterzunehmen. Jemand zieht mich am Ärmel. Der Angelausflug! Ich werde nie rechtzeitig nach Hause kommen! Der mich am Ärmel hält will mein Geld. Er hat alle seine Hände in all meinen Taschen. Ich brauche einen Moment, um ihn abzuwehren.

 

Das Wort, das ich ihm an den Kopf werfen wollte, fiel mir aus der Hand und rollte davon und unter den Schrank. Ich kroch hinter ihm her, um es wieder hervorzuholen, aber ich konnte es nicht mehr erreichen – mein Arm war einfach zu kurz. Mit jedem Griff wurde er kürzer.

 

Die Leute im Zug lehnen sich aus dem Fenster und winken und rufen mir zu, mich zu beeilen, der Zug würde gleich abfahren. Ich weiß, aber ich bin noch nicht fertig mit meinem Gepäck, jemand hat es wieder auf den Bahnsteig gestellt. Die Leute im Zug johlen und grölen und lachen sich schlapp und winken und rufen, ich solle mich sputen. Ich greife meine zwei wichtigsten Taschen aber der Zug ist schon abgefahren.

 

Im Abteil sitzen fünf nette alte englische Damen mit Rosenmuster und knabbern Manderley Flakes. Wir plaudern eine Weile sehr nett über das englische Wetter und über die Landschaften Cornwalls, aber dann müssen die Damen aussteigen und ich stehe wieder auf dem Bahnsteig. Auf dem gegenüberliegenden Bahnsteig steht der Rollwagen mit meinem Gepäck. Jetzt reicht's mir aber! Ich beschließe, daß mir mein Gepäck jetzt wurscht ist, soll es mir doch gestohlen bleiben! drehe mich um und falle fast über meine kleine Reisetasche. Die mit dem englischen Rosenmuster. Seufzend nehme ich sie an mich und gehe aus dem Bahnhof.

 

Auf dem riesigen Bahnhofsvorplatz, der sich bis hinter den Horizont erstreckt, stehen der Kölner Dom, die Basilika „Sagrada Família“, und das World Trade Center. 'Nanu', denke ich, 'diese Türme waren doch eingestürzt, wer hat sie denn wieder aufgebaut?' aber ich gehe weiter. Ich habe doch noch was vor! Zielstrebig steuere ich auf den Horizont zu.

 

Jemand zählte vorwärts bis 10 000 und endlich schlief ich ein.

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© Bettina Berger