betty on the blog
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"Die falsche Braut" ist ganz gewiss eines meiner sonderbareren Märchen, dennoch - oder gerade deswegen? - möchte ich es Euch nicht vorenthalten: 

Die falsche Braut

        Es war einmal ein Prinz, der hatte bei einem Ausritt durch sein Reich am Wegesrand einen Schuh gefunden. Es war ein sehr schöner Schuh, ein Damenschuh, wie man ihn sich zierlicher nicht denken konnte, sehr hübsch und sehr, sehr kostbar. Ein einzelner Schuh, „Wie ihn wohl eine Prinzessin auf der Flucht vor Räubern verloren haben könnte“, dachte sich der Prinz. Und er dachte noch viel weiter. Er dachte sich, daß die Prinzessin, die einen solchen Schuh trüge, wohl selber auch sehr schön, sehr zierlich, sehr hübsch und sehr, sehr kostbar sein müsse. Und romantisch, wie er war, malte er sie sich in allen Einzelheiten aus. Er sah ihre wunderschönen langen seidigen Haare vor sich, ihre warmen Augen, ihre schlanke biegsame Gestalt, ihr fröhliches Lachen, ihre muntere Stimme und die Art, wie beim Gehen ihr Kleid schwang.

 

        Von diesem Moment an dachte er jeden Tag an sie und sah sie vor sich stehen, und auch in der Nacht träumte er von ihr. Er trug den Schuh jede Minute mit sich herum, und von Zeit zu Zeit – so etwa jede halbe Stunde – zog er ihn aus seiner Tasche, drückte ihn an seine Lippen, herzte und küßte ihn und stellte sich vor, er küsse und herze die Prinzessin, der dieser Schuh wohl gehöre.

 

        Seine Streifzüge durch sein Königreich wurden immer ausgedehnter, denn er hatte beschlossen, die zu dem Schuh gehörige Prinzessin zu suchen, auch wenn er bis jetzt noch keine Ahnung hatte, wo sie zu finden sei. Wochenlang ritt er durch das Land, ließ kein noch so kleines Dorf am Wegesrand liegen, ohne sich gründlich darin umgesehen zu haben und tatsächlich, eines Tages in einer großen, aber ihm fremden Stadt sah er sie auf dem Marktplatz stehen, genauso, wie er sie sich vorgestellt hatte: mit ihren wunderschönen langen seidigen Haare, ihren warmen Augen, ihrer schlanken biegsame Gestalt, ihrem fröhliches Lachen, ihrer munteren Stimme und der Art, wie beim Gehen ihr Kleid schwang.

 

         Er bahnte sich zu Pferde einen Weg durch die Menschenmenge, sprang vor ihr aus dem Sattel und warf sich gleich auf die Knie und rief, indem er eine Hand mit eleganter Geste nach ihr ausstreckte:  „Endlich habe ich Euch gefunden! Ihr seid es und Ihr seid noch schöner, als ich es mir je erträumt habe! Ich bitte Euch, führt mich zu Eurem Vater, daß ich ihn um Eure Hand bitten kann!“ Die Begleiter der Schönen wollten den frechen Unbekannten schon mit ihren Schwertern vertreiben und ihre Zofen hatten sich erschreckt aneinandergeklammert, der Prinzessin jedoch hatte der tollkühne Auftritt des Prinzen gefallen und sie hob die Hand, beschwichtigte ihre  Eskorte und sagte zu dem Prinzen: „Ei, Ihr scheint mir Eurer Sache ja recht sicher zu sein, werter Herr! Nun denn, so kommt um die Abendstunde in unser Schloß dort auf dem Hügel und wir werden sehen, was Ihr noch könnt, außer vom Pferd zu springen!“ Und sie lachte genau das fröhliche Lachen, das der Prinz schon hundertmal in seinen Träumen gehört hatte und sein Herz schlug ihm bis zum Halse vor Freude.

 

        Zur vereinbarten Abendstunde ritt der Prinz zum Schloß und wurde auch eingelassen und in den Saal geführt, wo die Prinzessin mit ihrem Vater und der ganzen Familie zum Abendbrot versammelt war. Wieder sank der Prinz auf die Knie, diesmal vor ihrem Vater, küßte den Saum seines Gewandes und bat ohne weiteres Federlesens um die Hand seiner Tochter. Der Vater war zwar sehr erstaunt und besah sich den jungen Mann von oben bis unten, konnte aber keinen Makel an ihm finden und immerhin war er der Prinz, also sah er seine Tochter an und fragte sie: „Gefällt er Dir denn? Willst Du ihn?“ Seine Tochter lachte wieder ihr wunderschönes fröhliches Lachen und antwortete mit ihrer wunderschönen munteren Stimme: „Ja!“ und so klatschte der Vater in die Hände und ordnete für den nächsten Tag die Hochzeit und für drei weitere Tage eine große Feier an.

 

        Der Prinz wußte sich kaum zu fassen vor Glück, drückte abwechselnd den Schuh und seine Braut an sein Herz, was diese für einen kurzen Moment zwar merkwürdig fand, es aber in der allgemeinen Aufregung und dem allgemeinen Freudentaumel auch gleich wieder vergaß.

 

        So wurden der Prinz und seine wunderschöne Prinzessin vermählt und das Fest dauerte drei Tage und alle waren quietschvergnügt, glücklich und zufrieden – und der Prinz stellte den Schuh oben auf ein Regal, wo alle ihn sehen konnten, als Symbol seiner erfolgreichen Suche und seines gefundenen Glücks.

 

        Nachdem sie nun eine Weile verheiratet waren und sich aneinander gewöhnt hatten und dennoch jeden Tag immer nur noch glücklicher miteinander wurden, da sie sich gut verstanden, gemeinsam zur Jagd und anderen Unternehmungen ausritten und auch sonst so viel Gefallen aneinander gefunden hatten, daß eines ohne das andere gar nicht mehr sein wollte, fragte sich die Prinzessin aber doch immer öfter, was um alles in der Welt das eigentlich für ein sonderbarere Pantoffel sei, den ihr Gatte, den sie über alles liebte und schätzte und der sie so glücklich machte, da so verehre – und sie fragte eines Abends auch ihn.

 

        Er sah sie eine Weile verwundert an und antwortete ihr: „Aber das ist doch der Schuh, den Du in meiner Heimat im Wald bei der Flucht vor den Räubern verloren hast und den ich gefunden habe und ohne den ich mich nicht aufgemacht hätte, Dich zu suchen und Dich endlich hier zu finden! Es ist Dein verlorener Schuh, der uns beiden unser großes Glück gebracht hat.“

 

        Die Prinzessin schaute ihn eine Weile sprachlos an, stand dann auf und ging ein paarmal um das Podest herum, auf dem der Schuh stand und betrachtete in ganz lange und genau und sagte dann: „Aber das ist überhaupt nicht meine Schuh.“ - „Aber Liebes, “ sagte der Prinz, „natürlich ist das Dein Schuh. Als ich ihn fand sah ich Dich gleich vor mir: Deine wunderschönen langen seidigen Haare, Deine warmen Augen, Deine schlanke biegsame Gestalt, Dein fröhliches Lachen, Deine muntere Stimme und die Art, wie beim Gehen Dein Kleid schwingt. Und ich wußte, daß Du die Frau meines Lebens bist und ich Dich suchen und finden müsse. Du hast ihn doch damals gewiß bei uns im Wald bei der Flucht vor den Räubern verloren!“

 

        Die Prinzessin fühlte sich recht merkwürdig und antwortete mit zwar immer noch fröhlicher aber jetzt auch unsicherer Stimme: „Ich habe nie einen solchen Schuh besessen und ich war ganz gewiß noch nicht in Deiner Heimat in einem Wald voller Räuber.“ - „Aber ich bitte Dich, Du mußt Dich doch erinnern, wie Du den Räubern um Haaresbreite entrinnen konntest und dabei den Schuh verlorst, den ich dann fand woraufhin ich mich aufmachte, Dich zu suchen - ohne den ich Dich nie gefunden hätte!“ Die beiden sahen sich eine Weile bestürzt und schweigend an bis der Prinz plötzlich den Schuh vom Regal nahm, ihn der Prinzessin hinhielt und mit zusammengebissenen Zähnen befahl: „Los, zieh ihn an, dann wirst Du ja sehen, daß es Deiner ist!“ Die Prinzessin fand das alles sehr sonderbar, da sie ihren Mann aber liebte, beschloß sie, ihm den Gefallen zu tun, zog den Schuh, den sie trug von ihrem Fuß und versuchte, den Schuh, den ihr Gemahl ihr gebieterisch entgegenstreckte, anzuziehen. Er war viel zu klein.

 

        Die Prinzessin sah den Ärger auf dem Gesicht ihres Mannes und da sie ihn nicht noch weiter verärgern wollte murmelte sie etwas wie: „Ach, ich hab heute aber auch dicke Füße, das muß am Wetter liegen“, biß die Zähne zusammen und zwängte ihren Fuß in den Schuh, wobei sie nur hoffte, der Stoff möge nicht reißen.

 

        Ihr Gatte runzelte zwar die Stirn, ließ es aber erst einmal gelten. Innerlich jedoch war auch er sehr verstört und konnte nicht verstehen, wieso seiner Prinzessin ihr eigener Schuh nicht passte. Mußte er sie denn wirklich daran erinnern, daß das ihr eigener Schuh war? Er fragte sie, wo denn eigentlich der zweite, dazu passende Schuh sei. Die Prinzessin war so bestürzt über das Verhalten ihres Ehemannes, daß sie nicht wußte, was sie tun sollte und mit dem bloßen Wunsche, ihn nicht noch mehr zu verärgern, versprach sie ihm, den zweiten Schuh zu suchen und dann auch endlich beide Schuhe wieder zu tragen. Dem Prinzen reichte das fürs erste und er war's zufrieden, obwohl sich seine Stirn noch runzelte.

 

        Die Prinzessin lief in aller Eile mit dem einzelnen Schuh zum Schumacher und befahl ihm, auf der Stelle und unverzüglich einen zweiten dazu zu nähen, der Schuhmacher machte sich auch sofort ans Werk und fertigte einen zweiten Schuh nach der Vorgabe des ersten an und als die Prinzessin am nächsten Morgen beide Schuhe anzog, um sie ihrem Gatten vorzuführen, da waren beide zu klein. Die Prinzessin aber biß tapfer die Zähne zusammen und zeigte sich stolz und erleichtert ihrem Gemahl, der auch wirklich überglücklich darüber war, endlich seine Prinzessin in ihren beiden wunderhübschen  Schuhen vor sich stehen zu sehen, endlich konnte er sie so ganz über alle Maßen lieben, so wie sie war.

 

        Die Prinzessin aber verbiß sich die Schmerzen in ihren Zehen, als sie sah, welche Freude sie ihrem Prinzen bereitet hatte und humpelte auch nur so wenig sie konnte. Sie vermied es, allzuviel umherzulaufen, blieb lieber auf ihrem Throne sitzen und ließ sich das ein oder andere, das sie benötigte, von ihren Bediensteten bringen, um ihre Füße zu schonen.

 

        Die Tage und Wochen vergingen, die Schmerzen, die die Prinzessin beim Gehen litt, jedoch nicht. Im Gegenteil, denn durch das unterdrückte Humpeln wurde ihre einst so fröhliche, stolze, aufrechte Haltung krumm und ihr einst so munteres Wesen wurde immer gedrückter, ihre Laune schlechter. Öfters schrie sie jetzt ihre Bediensteten an und schickte sie hierhin und dorthin, um nichts und wieder nichts zu erledigen, abends badete sie stundenlang ihre Füße und hobelte sie ab, damit sie kleiner würden und die Schmerzen nachließen und hoffte die ganze Zeit inbrünstig, daß ihr Mann nichts merke und sie seine Liebe nicht verlöre.

 

        Aber natürlich merkte ihr Gemahl, daß seine geliebte Frau sich veränderte, sah ihre einst so fröhliche, stolze, aufrechte Haltung krumm und ihr einst so munteres Wesen immer gedrückter, ihre Laune schlechter werden Und was er sah wollte ihm gar nicht gefallen, zumal er nicht verstand, warum sich seine Prinzessin so veränderte. Er liebte sie doch, sie waren doch glücklich. Aber je weniger er es verstand um so mehr runzelte sich seine Stirn, je mehr seine Stirn sich runzelte um so mehr bearbeitet seine Gattin ihre Füße, je mehr sie ihre Füße bearbeitete, desto stärker wurden ihre Schmerzen und je gebückter sie ging um so mehr runzelte sich ihres Gatten Stirn.

       

        Und so blieb es nicht aus, daß eines Abends beim Abendbrot ein kleines Kind, das unter dem Tisch spielte, plötzlich aufschrie: „Iiih, da ist Blut im Schuh!“ und heulend zu seiner Mutter lief. Der Prinz beugte sich stirnrunzelnd unter den Tisch und in der Tat, aus beiden Schuhen seiner geliebten Frau quoll das Blut heraus! Grob zerrte er sie vom Stuhl hoch und zu einer Bank herüber, wo er ihr die Schuhe von den Füßen riß und entsetzt ihre verstümmelten Füße sah. Seine Frau konnte nur in Tränen ausbrechen. Empört warf er ihr die Schuhe vor die Füße und herrschte sie an: „Wie konntest Du nur! Der Schuh passt Dir ja gar nicht! Du hast mich die ganze Zeit belogen! Wie konntest Du mir das antun?“ Und er wandte sich um und stolzierte davon. Die Prinzessin sank schluchzend auf der Bank zusammen, so daß ihre Zofen zu ihr eilen und sie stützen mußten, sonst wäre sie gestürzt. Sie nahmen sie auf und trugen sie in ihre Kammer und legten sie auf ihr Bett. Ihr Gatte verließ noch am selben Abend auf seinem Pferd das Schloß, den Schuh, den er damals im Wald gefunden hatte, fest an seine Brust gedrückt.

 

        In der nächsten Stadt, die der Prinz erreichte, mietete er sich einen Knappen, der den Schuh auf einer langen Stange vor ihm hertragen und dabei allen Leuten verkünden sollte, daß der Prinz diejenige, Dame oder Mädchen, suche, der dieser Schuh gehöre, die ihn damals in seinem Wald verloren habe auf der Flucht vor den Räubern.

 

        Wieder reisten sie durch das ganze Land und viele Frauen und Mädchen kamen, wenn sie den schönen Prinzen sahen und meinten, es sei ihr Schuh. Aber der Prinz ließ sie alle den Schuh anprobieren und er passte keiner.

 

        Bis sie eines Tages zu einem Bauernhof kamen, vor dem sich drei kleine Schweinchen im Dreck tummelten, die von einem Mädchen bewacht wurden, dessen lange Haare zwar nicht seidig, aber immerhin strohig waren, und dem der Prinz den Schuh zum Anprobieren reichen ließ. Und siehe da: diesem Mädchen passte der Schuh, wie für es gemacht! Sofort sprang der Prinz freudestrahlend von seinem Pferd, schloß das Mädchen in seine Arme und rief „Du bist meine wahre Braut!“ Er schaute in ihre Augen, die denen der Kühe im Stall sehr glichen und trug ihre kleine aber weder schlanke noch biegsame Gestalt ins Haus, um sie dort sogleich zur Frau zu nehmen.

 

       

        Am nächsten Tag wurde überall im Lande verkündet, daß der Prinz endlich seine wahre Braut gefunden habe, deren fröhliches Lachen so laut über die Wiesen schallte, daß ihre Ziegen ebenso fröhlich einstimmten.

       

        Der Prinz und seine wahre Braut wurden sehr, sehr glücklich miteinander und lebten für immer in größter Eintracht, Harmonie und Seeligkeit im warmen Schweinestall des Mädchens.

 

        Die schöne Prinzessin aber, in der fernen schönen Stadt, grämte sich den Rest ihres Lebens darüber, daß sie so blöd gewesen war, den Schuh auch nur zu erwähnen.

 

       

       

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© Bettina Berger